Leseprobe
Abschnitt 5.3: Wir entdecken im „Geschoßbuch“ den ältesten Stadtplan von Chemnitz
Ein Geschoßbuch diente dem Schösser oder Amtsschösser zum Nachweis von Steuereinnahmen, in Dresden z.B. nach W. Schomburg (1992) seit 1284 nachweisbar. Es sind dies die sorgfältigen handschriftlichen Notizen des städtischen Steuereinnehmers, der seinerzeit Jahr für Jahr, anfangs jährlich zweimal äußerst systematisch den „Stadtplan abarbeitete“ und meistens gleich vor Ort Grund- und Gewerbesteuer kassierte, früher als „Geschoß“ bezeichnet. Indem er zu seiner eigenen Orientierung Stadt- und Gewerbegebiet per Überschriften in Stationen einteilte und danach Namen und Beträge der Steuerzahler vermerkte, gab er uns in Verbindung mit der Reihenfolge die Chance, seinen Umgang und damit Chemnitzer Geschichte und Stadtplanung pur nachzuvollziehen, denn es wurden oft Örtlichkeiten benannt. Uns steht frühestens die Zeit zwischen 1495 und 1504 zur Verfügung, in der übrigens die Einwohnerzahl etwa um das Doppelte angestiegen ist. Wir können sogar aus dem Geschoßbuch der Jahre 1495 bis 1504 mit einiger Mühe einen Stadtplan des Jahres 1495 konstruieren! Da es sich um 500 Jahre alte Eintragungen handelt, muss man mit jedem Wort äußerst sorgsam umgehen. In der Tabelle 5.1, die dazu als Grundlage dient, vermitteln die Nummern die Reihenfolge der Stationen. Die zweite und dritte Spalte enthalten die vom Autor „verdeutschten“ Originalbenennungen bzw. die gewählten „Übersetzungen“ dazu. Die Bemerkungen in der letzten Spalte erläutern noch die örtlichen Gegebenheiten.
Um von der Tabelle zu einem originellen Stadtplan zu kommen, benötigen wir noch eine städtetopographische Hilfe. Dazu dienen die Siedlungsviertel und Straßenzüge des bekannten Stadtplanes von J. P. Trenckmann aus dem Jahr 1751, weil trotz des zeitlichen Abstandes von 250 (!) Jahren mit wenigen Ausnahmen eine überraschend gute verbale Übereinstimmung der Örtlichkeiten zu verzeichnen ist. Nun wurde computergestützt ein Polygonzug des Umganges mit Richtungspfeilen, Stationsnummern und -bezeichnungen gemäß Tabelle 5.1 und Anzahl der ebenfalls dem Geschoßbuch entnommenen Namen der Steuerzahler (in Klammern) in den schematisch übernommenen Trenckmann´schen Plan gezeichnet. (Gegenüber einer Darstellung in der Zeitschrift „Chemnitzer Roland“, Heft 3/2000, sind vom Autor einige weiterführende Korrekturen berücksichtigt worden.)
Und so entstand der älteste Stadtplan von Chemnitz.
Als solcher galt bisher die Zeichnung von M. Oeder etwa aus der Zeit nach dem Jahr 1600. In „Chemnitz, der Festen“ war es den Unternehmern innerhalb der Stadtmauer längst zu eng geworden. Ein für die Zeit riesiges Gewerbegebiet zog sich vom Südosten entlang des Chemnitzbogens bis hoch in den Norden der Stadt. Die Natur hatte alles zu bieten: Wasserkraft im richtigen Maß, ebene Produktionsflächen überall und - was leider M. Oeder nicht berücksichtigte - zum unterirdischen Lagern erschließbare Berghänge. Es ging steil aufwärts, und man konnte gerade mal noch vor der Jahrhundertwende das neue Rathaus „ganz in Stein“ aufführen. Das Geld dafür besorgte der städtische Steuereinnehmer, womit sich der Reigen wieder schließt.
Tabelle 5.1: „Stationen“ der Steuereinnahme des Jahres 1495 in Chemnitz aus dem Geschoßbuch der Jahre 1495-1504
Stations-Nr. |
Station |
„Übersetzung“ |
Bemerkung |
1 |
beym Rotthen thorm |
beim Roten Turm |
südwestlich davon |
2 |
vor Sanct Johanßen thor |
vor dem St. Johannistor |
innerhalb der Stadtmauer, heute Richtung Zschopauer Str. |
3 |
Sitzenplann |
Sitzeplan |
außerhalb der Stadtmauer, heute Richtung Zschopauer Str. |
4 |
Reyn in die lange gasse |
hinein in die Lange Gasse |
|
5 |
Vorm alten kemnitzer thore |
vor dem alten Chemnitzer Tor |
innerhalb der Stadtmauer, heute Richtung Annaberger Str. |
6 |
Reyn in der lange gasse |
hinein in die Lange Gasse |
|
7 |
Vor Sanct Nickels thor |
vor dem St. Nicklas-Tor |
innerhalb der Stadtmauer, heute Richtung Stollberger Str. |
8 |
Bey Sanct Nicolaus |
bei St. Nicolei |
alte Nikolei-Kirche |
9 |
Neyn am Roßmargkt |
hinein in den Roßmarkt |
|
10 |
Loh gasse |
Lohgasse |
|
11 |
Vor der pforttenn |
vor dem Pforten-Tor |
innerhalb (!) der Stadtmauer, in der Nähe des heutigen Pfortensteges |
12 |
Reyn beym Closter |
hinein in das Kloster |
ehemaliges |
13 |
Vorm closter thor |
vor dem Kloster-Tor |
wahrscheinlich auch außerhalb der Stadtmauer, heute Richtung Hartmann-Strasse |
14 |
Reyn in die closter gasse |
hinein in die Klostergasse |
|
15 |
Weber gasse |
Webergasse |
|
16 |
Am Saltzmargkt |
am Salzmarkt
|
früher und später wieder Topfmarkt |
17 |
Johannes gasse |
Johannesgasse |
|
18 |
Uff der pach |
am Bach |
ehemaliger Bernsgraben (?) |
19 |
Am Margkt |
am Markt |
|
20 |
over closter gasse |
über die Klostergasse |
|
21 |
Undernn Lewbenn |
unter den Laubengängen |
heute Neues Rathaus |
22 |
Besthos ane heuser |
„Besthos“ (?) seine Häuser |
etwas unleserlich und unklar |
23 |
uff walpurge anno 1495 |
zu Walpurgis im Jahr 1495 |
feststehender Zins-Zahltermin |
24 |
am Rathhause |
am Rathaus |
Vorgänger des heutigen Alten Rathauses |
25 |
beym roten thorm |
beim Roten Turm |
nordwestlich davon |
26 |
vor der pforten |
vor dem Pforten-Tor
|
außerhalb (!) der Stadtmauer |
27 |
vonn Saltzkammern |
von den Salzkammern |
Zins von deren Betreibern |
28 |
vonn hantwergenn |
von den Handwerkern |
genannt sind je ein Tuchmacher, Bäcker, Schuster |
29 |
vonn Rehmen |
von den Rahmen |
Anlagen der Tuchtrocknung, Zins von deren Betreibern |
30 |
an der Bleyche |
an der Bleiche |
Zins von deren |
31 |
beym heyligen geyste |
beim Heiligen Geiste |
so hieß das städtische Siechhaus |
32 |
Henseyt der hoen brucke |
jenseits der Hohen Brücke |
jenseits der Brücke am heutigen Luxorpalast |
33 |
am Caßperge |
am Kaßberg |
an der heutigen Kaßbergauffahrt |
34 |
in der mittelpleych |
in der Mittelbleiche |
Bleichwiesen westlich der heutigen Markthalle, jenseits des ehemaligen Mühlgrabens |
35 |
In der eussernn pleych |
in der äußeren Bleiche |
Bleichwiese im Bereich des Luxorpalastes |
36 |
Bei der Zygelscheune |
bei der Ziegelscheune |
alte Chemnitzer Ziegelei im Bereich des späteren Angers |
37 |
Ex pontifex zins |
Ex pontifex-Zins |
spezieller kirchlicher Grundstücks- Zins |
38 |
vor Sanct nickels thor |
vor dem St. Nicklas-Tor |
außerhalb (!) der Stadtmauer |
39 |
an der Bernspach |
am Bernsbach |
|
40 |
vorm kemnitzer thor |
vor dem Chemnitzer Tor |
außerhalb (!) der Stadtmauer, heute Richtung Zschopauer Str. |
41 |
in der awenn |
in der Aue |
|